Es ist eine kleine Marotte von mir in den entlegendsten Orten der Welt in eine Buchhandlung zu gehen und nachzusehen, welche österreichische Autoren dort zu finden sind. Da kommt man oft ins Staunen. In Uruguay beispielsweise in einem Stranddorf mit vielleicht 300 Einwohnern lugte in einer der drei (!) Buchhandlungen ein Daniel Glattauer hervor.
Noch größer aber war die Freude in Buenos Aires. In der Auslage einer Buchhandlung gegenüber dem weltberühmten Friedhof Recoleta lag ganz vorne eine Ausgabe von Robert Seethalers „Ein ganzes Leben“ und nur 50 cm daneben ein Band über Alfred Kubin Seite an Seite mit einer Biografie über Sigmund Freud.
Hallelujah! Da war ich aber beeindruckt.
Und sinnierte kurz, ob der Buchhändler eventuell Seethalers „Trafikanten“ gelesen hatte, in dem der junge Franz aus Nußdorf am Attersee von seiner Mutter nach Wien geschickt wird, um den Beruf des Trafikanten zu erlernen. Dort trifft er auf Sigmund Freud, der sich regelmäßig seine Virginias und die neue Freie Presse holt. Eine besondere Verbindung.
In der ersten Begegnung der beiden kann man schon viel von Seethalers Geschick Figuren detailiert zu zeichnen entnehmen: „Der da ist übrigens der Franzl“, erlärte Otto Trsnjek. „Kommt aus dem Salzkammergut und hat noch viel zu lernen.“ Der Alte reckte seinen Kopf noch ein Stückchen weiter vor. Aus den Augenwinkeln konnte Franz erkennen, wie sich seine Hautfalten, dünn wie Seidenpapier, über den Rand des Hemdkragens legten. „Das Salzkammergut“, sagte er mit einer seltsamen Mundverzerrung, die wahrscheinlich ein Lächeln dastellen sollte. „Sehr schön.“ „Vom Attersee!“ nickte Franz. Und aus irgendwelchen Gründen war er zum ersten Mal in seinem Leben stolz, auf dieses komsiche Regenloch namens Heimat.
Die warmherzige Geschichte, die nichts beschönigt, sonder den Leser tief in die politischen Zeichen der 30-iger Jahre führt, ist auch getragen von der Beziehung, die Franz mit der in Nußdorf verbliebenen Mutter pflegt. Wöchentlich schicken sich die beiden Ansichtskarten „… Rufe aus der Heimat in die Fremde hinaus und wieder zurück, wie kurze Berührungen, flüchtig und warm. Franz legte die Karten der Mutter in die Schublade seines Nachtkästchens und sah zu, wie der Stapel Woche für Woche anwuchs, lauter kleine, glitzernde Atterseen. Manchmal, an stillen Abenden, kurz vor dem Einschlafen, konnte er es leise gluckern hören in der Lade. Aber das mochte auch Einbildung sein.“
Robert Seethaler ist mit dem Trafikanten ein großes, berührendes Buch und ein Stück Zeitgeschichte gelungen, das bewegt. Mit überaus feiner Sprachklinge erlebt man das Erwachsenwerden von Franz in all seinen Facetten so intensiv, als wäre man selbst stummer Teil des Figurenkabinetts der Rauchwarenhandlung in der Währingerstraße gewesen. Dass dieses Buch nun mit Bruno Ganz in der Rolle des Dr. Freud verfilmt und so noch einem viel größeren Kreis erschlossen wird (Filmstart voraussichtlich im Herbst 2018) ist großes Glück!
Tipp: Robert Seethaler „Der Trafikant“, Verlag Kein & Aber Pocket, 250 Seiten, als Taschenbuch € 11,40