Es begann mit einem Hauch im Vorfeld und zog – nach der Eröffnung – wie ein frischer Wind durch Bad Ischl, das Salzkammergut und weit über die österreichischen Landesgrenzen hinaus. Die Neupositionierung des Marmorschlössls als starke Außenstelle der OÖ Landes-Kultur GmbH ist sensationell gut gelungen. Denn mit dem Wechsel des Ausstellungsfokus von der schon etwas verstaubten Foto-Sammlung Frank zu „Dirndl. Tradition goes Fashion“ erlebte auch das Haus einen Befreiungsschlag.
Ich war im Zuge meiner eigenen Bad Ischl-Reiseführerrecherchen vor zwei Jahren mehrmals dort und hatte bei der Neueröffnung im Frühjahr heuer das Gefühl, das Haus und alle seine Besucher können endlich wieder atmen. Erst jetzt verstehe ich auch, dass Kaiserin Sisi – die ewig Flüchtende – in dem für sie erbauten Tudorstil-Cottage so etwas wie Freiheit gespürt haben wird: in Sichtweite der Kaiservilla und doch entrückt. Nur wenige Schritte trennten die Bergliebhaberin vom Blick auf den erhabenen Dachsteingletscher, im Rücken der Jainzen, ihr „Zauberberg“, dessen Besteigung beinahe zur täglichen Morgenroutine gehörte.
Das älteste Dirndl, das bei der Ausstellung „Dirndl. Tradition goes Fashion.“ zu sehen war, stammt aus dem Jahr 1830. Gut möglich also, dass sich die Kaiserin, deren Kaufsucht kein Geheimnis ist, auch in Dirndln verlustriert hat. Da sie sich der Fotografie nach ihrem 30. Lebensjahr bewusst entzog, sind Belege schwer zu finden.
Wem dieser zweite Corona-Sommer zu schnell vergangen ist, um das Marmorschlössl selbst zu besuchen, hat nun die Möglichkeit die gesamte Reise durch die hier eindrucksvoll aufbereitete Dirndlgeschichte in dem gewichtigen Buch zur Ausstellung (Ausstellungskatalog wäre die falsche Bezeichnung) nachzuempfinden. Ich empfehle es aber auch all jenen, die wie ich dort waren und beim Lesen und Blättern sofort wieder in diese besondere Stimmung verfallen werden, die einen vor Ort gefangen nimmt und von der man sich schwer lösen kann.
Dank dem profunden Wissen von Thekla Weissengruber, deren Handschrift Ausstellung und Buch tragen, lernt man die Tracht nicht nur in ihrem „Look“ kennen, sondern auch in ihrer politische Dimension während der NS-Zeit, in ihrer historischen Notwendigkeit und in dem, was das Dirndl auch ausmacht: in seinem Wandel. Lebendig ist es nicht in seiner Tradition, sondern dort, wo die Insignien der Gegenwart Teil der Umsetzung sind. Dies wird bei jenen Designern deutlich, die den Zeitbezug bei „Tradidion goes Fashion“ herstellen: Susanne Bisovsky, Andreas Kronthalter für Vivienne Westwood und Lola Paltinger. Im Marmorschlössel konnte man von Kleid zu Kleid wandeln, im Buch zur Ausstellung kann man das anhand der vielen Fotografien aber beinahe genau so gut nachempfinden.
Das Marmorschlössl wird auch in der nächsten Saison dem Dirndl – wenn auch in anderem Kontext – treu und das Katalogbuch gültig bleiben.
Buchtipp: Alfred Weidinger, Thekla Weissengruber: Dirndl. Tradition goes Fashion. 336 Seiten, € 38,00. (Deutsch und Englisch in einer Ausgabe). Das Buch ist nicht leicht im Internet zu finden, dankenswerter Weise aber auch über die Atterbuch in Seewalchen zu beziehen.
Nachtrag in eigener Sache
Von der wunderbaren Gexi Tostmann ist übrigens auch ein Beitrag im Buch zu lesen. In meinem Kleiderschrank befinden sich bis jetzt (auch aus Loyalität zu Nachbarschaft) nur Tostmann-Dirndln, ich liebäugle aber schon lange mit Susanne Bisovsky und gebe zu einmal gesagt zu haben, dass ich für ein Kronthaler-Westwood Dirndl (anlässlich der Kooperation mit Tostmann) beinahe zu sterben bereit wäre. Mein Mann hat mailwendend bei Tostmann nachgefragt und wenig später die Bezugsquelle mit dem Vermerk erhalten, dass Sterben wirklich nicht notwendig sei.
Das Landes-Kultur-Projekt „Dirndl. Tradition goes Fashion“ versteht sich auch als Tribut an Vivienne Westwood zu ihrem 80. Geburtstag.