„Nun aber bleiben diese drei: Glaube, Hoffnung, Liebe. Die größte aber unter ihnen ist die Liebe.“
Jeder Roman, heißt es, trägt irgendwo autobiografische Züge. Bei Andrea Grill ist es ein Satz aus der Kirche ihrer Kindheit in Bad Ischl. Er steht hoch an der kunstvoll bemalten Decke geschrieben. Ich hatte ihn zufällig zwei Wochen, bevor ich das Buch zu lesen begann, fotografiert.
Dann ist mir das Buch ins „Auszeit“-Gepäck gerutscht. Das war kein wirklicher Urlaub, sondern eine Alltagsflucht. Fokussiert, um ein Manuskript zu überarbeiten. Immerhin weilte ich dabei unter der andalusischen Sonne mit Blickrichtung aufs Meer. Und ertappte mich dabei, wie ich nachmittags vom Laptop immer sehnsüchtiger auf Grills Roman „Cherubino“ schielte. Eine kleine Verheißung, keine Frage.
Was macht man als freischaffende Opernsängerin, wenn die Türen zum großen Karriersprung an die New Yorker Met und bei den Salzburger Festspielen aufgehen? Man schwebt in den 7. Himmel. Doch dort hat sich ordentlich was zusammengebraut. Eine Schwangerschaft und zwei potenzielle Väter. Das wirft Fragen auf. Und Probleme. Viel Herausforderung für die 39-jährige Sopranistin Iris Schiffer, von Natur aus mit einer gehörigen Portion Perfektionismus ausgestattet.
Sergio, der italienische Kollege aus dem Opernfach wäre eine formidable Absicherung. Ein Wegbegleiter, herzeigbar, unterhaltsam. Solche Beziehungen werden tausendfach gelebt. Der eigentlich farblose Ludwig hingegen steht für jene gestohlenen Momente, die man mit einem Mann hat, der mit einer anderen verheiratet ist. Weil der Alltag nicht erprobt werden kann, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Eine aufwühlende Mischung aus Glaube, Hoffnung und Liebe. Solche Beziehungen werden tausendfach durchlitten.
„Cherubino“ ist ein Buch mit starker Sogwirkung. Dynamisch nimmt es einen mit auf eine Reise voller Humor, sprachlichem Feingefühl und viel Erkenntnisgewinn. Über die Sinnhaftigkeit von Entscheidungen, biologischem und emotionalen Kontrollverlust, schicksalshafte Wendungen und darüber, das das Leben so viel mehr ist als Schwarz oder Weiß. So hat es das Buch durchaus berechtigt auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft.
In Ischl verbrachte Andrea Grill die ersten 18 Jahre ihres Lebens, das zählt mehr als ein Geburtsort alleine. „Ich habe dort meine Jahre von Kindergarten bis Gymnasium verbracht, bin dort erwachsen geworden. Als Teenagerin wollte ich freilich vor allem weg und ans Meer. Mittlerweile fahre ich sehr gerne nach Ischl in den Ferien.“
Buch-Tipp: Andrea Grill: „Cherubino“. Zsolnay Verlag, Wien 2019, 317 Seiten, € 23,70
„im Urlaubsgepäck, aufgesogen, schmunzelnd am Strand“