Als ich Kind war hieß es immer „Handwerk hat goldenen Boden“. Ich bin in einer kleinen Gerberei aufgewachsen, der Boden war nicht golden. Da waren Salz und Säure, stinkende Felle, manchmal auch Ratten und in Folge eine Mutter, die auf dem Schreibtisch stand und nicht mehr davor saß. Dann kamen die dringend notwendigen Umweltvorschriften und mein Vater wechselte von der Gerberei in den Fellgroßhandel. „Ist der Handel noch so klein, bringt er mehr als Arbeit ein“, hieß es. Ich war mittlerweile älter geworden und verstand nun die eigentliche Bedeutung von Redensarten.
Zur Zeit der Gerberei war es noch nicht üblich, Kinder altersadäquat zu bespaßen. Da lief das Meiste einfach mit. Sicherheitsgurte im Auto gab es genauso wenig wie Kindersitze. Wenn frisch gegerbtes Leder verliefert wurde – beispielsweise an die damals noch existente Schuhfabrik Kastinger in Seewalchen oder an diverse Lederhosenerzeuger in Gmunden, Bad Ischl und im Ausseerland, saß ich blondgelockter Dreikäsehoch auf den Lederballen im Auto. Das war mindestens so gut wie Pferde reiten.
„Fast vergessen, neu entdeckt“ hätte ich diese Kindheitserlebnisse, wäre mir nicht „Das große Buch vom Handwerk“ aus dem Servus Verlag quasi druckfrisch in die Hände gefallen. Ein Buch, das schon vom Einband her entschleunigt und in eine Welt führt, die sich etwas Heiliges bewahrt hat. Der Servus-Verlag verhilft ihr dankenswerter Weise immer wieder zu neuen Ehren.
Achim Schneyder hat in diesem wunderschönen Kompendium 64 Geschichten über das Handwerk und die dazugehörigen Handwerksfamilien zusammengetragen. Reich bebildert erscheinen sie so, wie sie sind: Meisterwerker für die Ewigkeit.
Auch dem Salzkammergut sind einige davon gewidmet. Gerhard Götzendorfers (Oberweis bei Gmunden) in Knochen geschnitzte Miniaturwelten beispielsweise oder Herbert Truckers Trachtenschmuck-Unikate (Steinbach am Attersee). Natürlich dürfen die Hutmanufaktur Leithner in Bad Aussee nicht fehlen, die Stammbaum-Maler Rosenlechner aus dem Attergau oder die Seifensiederin Josel vom Almtal. Nach der Lektüre wird sich der eine oder andere garantiert Gedanken zur eigenen Berufswahl machen.
Die Sache mit dem Handwerk und goldenen Boden hat Achim Schneyder im Vorwort zum Buch übrigens vom Glitzer befreit, indem er den Spruch vollständig zitierte: „Handwerk hat goldenen Boden, sprach der Weber, da schien ihm die Sonne in den leeren Brotbeutel.“ Insofern war der Wechsel meiner Eltern zum Handel vielleicht doch die bessere Wahl.
Wen die Thematik interessiert sollte das Buch sicherheitshalber gleich zweimal nehmen. Einmal muss es garantiert verschenkt werden.
Tipp: Achim Schneyer: „Das große Buch vom Handwerk. Fast vergessen, neu entdeckt“, Servus-Verlag, 306 Seiten, € 36,00