Ich bin derzeit im Waldviertel statoniert. Moorbad Harbach, drei Wochen zur Therapie, um eine Verknöcherung in der HWS zu kurieren. Die Gegend ist wunderbar, ich kann täglich ausgedehnte Runden duch abwechslungsreiche Wälder drehen.
Die aus mehreren Häusern bestehende Kuranlage ist groß und mit unterirdischen Gängen verbunden, vermutlich legt man zwischen den Therapien schon einige Kilometer zurück. Manch einem wünscht man dabei den Beruf des Sesselträgers zurück, wie sie im 19. Jahrhundert von Kurgästen in Bad Ischl weidlich genutzt worden sind.
Fixe Standplätze sorgten für gute Erreichbarkeit. In der Kaiserstadt war der Sammelpunkt neben der Trinkhalle. Die Patienten ließen sich nicht nur zu ihren Kuranwendungen, sondern auch zu Ausflugszielen tragen. Die Chorinskyklause stand dabei hoch im Kurs, aber auch luftige Höhen wie die Katrinspitze. Berufliche Voraussetzung war eine Bewilligung zur Ausübung des Sesselträgergewerbes, oft waren es arbeitslos gewordene Salinen- oder Holzarbeiter, die sich hier einen neuen Erwerb schufen. Das Tragen von Lasten waren sie gewohnt. Von Kaiserin Elisabeth weiß man, dass die Sesselträger nur zur Vorsicht mitgingen und so manche Hofdame retteten, denn Sisi betrieb das Wandern eher als Leistungssport.
In St. Wolfgang hatten die Sesselträger in einem Stüberl im Hotel Post ihr Hauptquartier, bis 1893 die Schafbergbahn eröffnet wurde und sie dort nicht mehr gebraucht worden sind. Der Fortschritt ging immer schon zu Lasten von Arbeitskräften.
Die Tarife wurden vom jeweiligen Bezirksgericht festgesetzt und amtlich verlautbart. 1864 kostete beispielsweise eine Tour von Bad Ischl bis zum Attersee 8 Gulden und 30 Kronen sowie 55 Kronen Trinkgeld pro Träger. Man fragt sich, wie das war, wenn sich Sesselträger am Hinweg mit Retourgehenden trafen. Wurde gegrüßt? Wurde unterbrochen? Ging der Weg durchs Weißenbachtal oder über den Schwarzensee?
Gestern las ich in einem Manuskript des SWR2 (Musikstunde, 2016), dass der berühmte Komponist Giacomo Meyerbeer, einer der ersten Stars in Bad Ischl (ca. 1847) am Sessel sitzend vom Rosenstöckl, wo er logierte, zu den Badekuren getragen wurde. Wo immer er erschien, versammelten sich zahlreiche Verehrer. Nach der Kur nickte er gerne ein. Als er bei so einer Gelegenheit im Garten ruhte und ein Unwetter aufzog, war die Runde seiner Adoranten in Auflösung begriffen. Tassen, Kaffeekannen und Kuchenplatten wurden leise weggetragen. Meyerbeer wachte auf, blickte erstaunt auf den Gänsemarsch an Gestalten und hatte den berühmten Königsmarsch für die gerade im Entstehen befindliche Oper Der Prophet vor Augen.
Meyerbeer verbrachte seine Ischler Sommer im heute bekanntesten Gartenhaus der Stadt, dem Rosenstöckl. Damals war es noch nicht berühmt, sondern gehörte zum Lidlhaus (Esplanade 6). Von 1909 bis 1911 wohnte Franz Lehar dort und komponierte u.a. die Operette Der Graf von Luxemburg darin, einige Jahre später ließ sich Emmerich Kálmán dort inspirieren. Heute kann das Rosenstöckl als Ferienhaus „Rosenvilla“ gemietet werden. Die Lage im Kurgarten ist perfekt, das Interieur bietet eine charmante Zeitreise auf authentischen Pfaden. Nur die Sesselträger sind nicht mehr zu sehen.
Headerfoto Sesselträger: Archiv Österreichische Nationalbibliothek