Vor ein paar Jahren erlebte ich Franz Welser-Möst zum ersten Mal auf einem Podium, wo es nicht um Musik ging. Er moderierte eine Veranstaltung im Hause Tostmann, bei der es um den möglichen Verkauf der Ärztekammergründe und einer Bebauung dieser unweit seines Hauses ging. Ein paar engagierte Seewalchner hatten sich dagegen stark gemacht und Welser-Möst war als Moderator das Zugpferd der Veranstaltung.
Offensichtlich nicht wirklich gut vorbereitet behauptete der Dirigent dort öffentlich „vom Hotel Attersee hört man ja auch, dass sich der Geschäftsführer sein Privathaus am Ufer bauen will.“ Das war nicht nur falsch, sondern fällt auch eindeutig unter Meinungsmache und sprengt die Aufgabe jedes seriösen Moderators. Der Geschäftsführer ist mein Mann, von einem derartigen Bauvorhaben sollten wir etwas wissen. Wir waren ehrlich schockiert und fuhren mit einem tiefen Gefühl der Enttäuschung nach Hause.
Dann kam die Salome bei den Salzburger Festspielen. Mangels Kartenglück bei der Bestellung, waren wir „nur“ bei der Live-Übertragung im ORF mit dabei. Ich war so tief in meinem Herzen berührt, dass ich die Aufnahme am nächsten Tag noch einmal erleben musste und sagte zu meinem Mann: „Solange Franz Welser-Möst so Musik machen kann ist es mir komplett egal, was er wo zu wem sagt.“ Alle Zweifel waren über Nacht verflogen.
Während des Lockdowns streiften sich unsere Spazierwege zweimal am frühen Morgen in Litzlberg, demütig grüßte ich leise im Vorübergehen und war bei der Elektra-Premiere der heurigen Festspiele via arte.concert aufgeregt im Wohnzimmer mit dabei. Der Abend war aufwühlend und von einer unfassbar guten Qualität, am nächsten Morgen war ich immer noch so verzaubert, dass ich die Vorstellung am verregneten Nachmittag ein weiteres Mal streamen musste.
Mit diesem positiven Gefühl machte ich mich an die Lektüre von Welser-Mösts rechtzeitig zu seinem 60. Geburtstag im Brandstätter-Verlag erschienenen Biografie „Als ich die Stille fand. Ein Plädoyer gegen den Lärm der Welt“ und las mich fasziniert durch die unterschiedlichen Lebenskapitel.
Es ist die Geschichte eines Menschen, den das Schicksal mehrmals vor schwere Prüfungen gestellt hat. Außergewöhnliche Charaktere schöpfen daraus Kraft für neue Wege. In diesen lebensverändernden Situationen, schlug er immer ein neues Kapitel auf, das ihn weiter nach vorne brachte. Viele hätten nach dem schweren Unfall, der seine Karriere als Violinist früh beendete, aufgegeben. Welser-Möst wurde daraufhin Dirigent. Manche wären an dem Intrigenspiel während seiner Lehrjahre als Orchestervorstand des London Philharmonic Orchestras verzweifelt. Welser-Möst hat selbstzweifelnd durchgetaucht, aber dabei sein Sensorium für das Spiel mit der Macht und was er nicht mehr akzeptieren möchte, geschärft. Das Buch ist auch deshalb so lesenswert, weil es gleichermaßen vom Erfolg wie vom Scheitern handelt. Dazwischen lernt man die tiefe Liebe eines Menschen zur Musik, der Natur und seine Leidenschaft für manche Komponisten kennen.
Davon war dann auch viel bei dem feinen Podiumsgespräch von Franz Welser-Möst mit Dr. Reinhard Kannonier, dem ehemaligen Rektor der Kunstuni Linz, im schönen Aichergut in Seewalchen Mitte August zu spüren. „Es gibt nichts Intimeres als die Musik von Schubert“, sagte der Maestro, „er rührt die Seele an, wie kein anderer.“
An diesem Abend ging ich glücklich nach Hause. Schubert, soviel steht fest, werde ich völlig neu begegnen müssen. Bis man Franz Welser-Möst mit seinem Cleveland Orchester wieder live erleben kann, wird es noch einige Zeit dauern. Bis dahin kann man sich von kurzen Mindful Music Moments auf der Cleveland- facebook-Seite zumindest wegtragen lassen.
- Buchtipp: Franz Welser-Möst: Als ich die Stille fand. Ein Plädyoer gegen den Lärm der Welt. Brandstätter-Verlag 2020, 191 Seiten, € 22,00
- Über Atterbuch in Seewalchen können Sie signierte Exemplare beziehen. Buchhändler Weidinger ist auch der Abend im Aichergut zu verdanken.
Man begegnet jedem Menschen ein zweites Mal …