Eigentlich habe ich das Buch schon am Erscheinungstag gelesen, coronabedingt aber zweimal für längere Zeit weglegen müssen. Das neue Buch „Angst“ der in Schörfling aufgewachsenen Petra Ramsauer, viele Jahre Krisen- und Kriegsberichterstatterin, ist zutiefst bewegend und deshalb eine absolute Empfehlung, um es für jemanden unter den Baum zu legen oder als Weihnachtspost zu versenden. Unbedingt liest man es aber auch selbst.
Die erste 4-wöchige Unterbrechung passierte mir, als ich im Zug nach Wien auf der Fahrt zur Firmung meines Neffen saß und in dem Kapitel „Die Macht der Angst“ ein Zitat des syrischen Autors Khaled Khalifa las: „Die Pandemie gibt uns in Syrien einen Moment lang das Gefühl zurück, wieder zu dieser Welt zu gehören. Wir waren in allen den vom Sterben gezeichneten Kriegsjahren isoliert. Nun fühlen wir uns, so schlimm es auch ist, in unserer Angst wenigstens endlich zur Welt dazugehörig.“ Diese Zeilen trafen mich so tief, dass ich das Buch mit Tränen in den Augen zuklappte und einen ganzen Monat lang nicht mehr in die Hand nehmen konnte. Welch eigene Ängste kann es in einem wohlstandsverwöhntem Land wie Österreich dagegen noch geben?
Es wäre falsch, diesen beeindruckenden Essay von Ramsauer auf ihre Erlebnisse in Syrien zu reduzieren. Natürlich geht es um die politische Situation vor Ort, aber auch darum, was dieses Leben mit ihr selber machte, wie es ihr heute damit geht und wie wir alle ganz allgemein auf angsterfüllte Situationen reagieren. Diese Mischung aus eigenem Erlebtem, Angst- und Trauma-Theoretischem und all dem, was uns selber in voller Pandemie-Aktualität betifft, ist außerordentlich und war unter viel Gelesenem heuer zweifelsohne mein Buch des Jahres.
Petra Ramsauer hat vor einigen Monaten der Welt der Krisenberichterstatterin lebewohl gesagt. Es war nicht die Angst, sondern eine Reaktion auf die veränderten Rahmenbedingungen im freien Journalismus. Auch das ist eine erschreckende Entwicklung unserer Zeit: weder Risiko noch Aufwand stehen mittlerweile in irgendeinem Verhältnis zur finanziellen Abgeltung. Nach mehr als zwei Jahrzehnten in denen sie aus Kriegsgebieten zugeschaltet in vielen Wohnzimmern Österreichs mit auf der Couch saß oder in Magazinen davon berichtete, will sie künftig im Bereich Psychotherapie arbeiten und vor allem Menschen mit Kriegstraumata bei der Aufarbeitung des Erlebten begleiten. Vor jemanden, der so viele Jahre am explosiven Rande des Todes gearbeitet hat, kann man nur Hochachtung haben.
Buchtipp: Petra Ramsauer: Angst. K&S übermorgen, 125 Seiten, € 18,00
Post Scriptum:
Ein paar weitere Wochen, um über dieses Buch zu schreiben, habe ich an eine Art der Erschöpfung verloren, die ich bereits von einer Dengue-Erkrankung vor vielen Jahren kannte. Es ist nichts was man sich wünschen würde. Darüber hinaus war ich symptomlos. Mein Leben ist an sich weitgehend angstbefreit. Kontakten gegenüber war ich im Herbst nicht aus eigenem Bedenken, sondern aus Rücksicht auf meine Mutter äußerst vorsichtig. Wo ich mich mit Corona angesteckt haben könnte, ist völlig ungeklärt. Mein Blick auf die Situation hat sich verändert, ein leichter Anflug von Angst hat sich eingeschlichen: dabei geht es aber weniger um die Existenz, sondern eher um Kontrollverlust, ein Ausgeliefertsein Unbekanntem gegenüber. Um eine Angst zu besiegen, davon bin ich überzeugt, muss man ihr begegnen. Zu Weihnachten werden wir 9 Personen am Tisch sein. Same procedure as every year. Direkt vorm Treffen werden wir uns allerdings schnelltesten.