Die Herangehensweise ist nicht neu, aber selten so gut gelungen. Barbara Frischmuths neuer Roman „Verschüttete Milch“ erzählt die Geschichte von Juli, aufgewachsen im Dorf im Gebirge in einer Zeit in der Kriegsgewinnler und Verlierer, Evakuierte und Kinderfrauen, Kostgänger und Verwandte nach und nach am gleichen Tisch saßen.
Es beginnt mit dem Griff in die Fotokiste. Aus alten Aufnahmen entspinnt sich ein Kinderleben in Altaussee wie eine Daraufschau der Erzählerin, als hätte sie nicht primär etwas damit zu. Aber es ist natürlich kein Zufall, dass Autorin wie Mädchen im selben Ort zur selben Zeit (1940iger Jahre) als Hotelierstochter aufgewachsen sind. Irgendwo ist alles autobiografisch vermutet man beim Lesen (zumal auch heute noch groß „Frischmuth“ an der Hotelfassade zu lesen ist). Und taucht mit ein in die Welt eines bekannten Dorfes zu einer Zeit, die immer noch Schatten zu werfen vermag.
Aussee, das hat etwas von Endstation Sehnsucht. Die Sackgassenlage vorm Gebirge schafft eine Umgebung, wo für Phantasiebegabte alles möglich ist, im Guten wie im Schlechten: Villen enteignen, Kunstschätze verstecken, Fluchtrouten beenden, Sommerfrische genießen oder sich als junges Mädchen eine Zukunft als Afrikaforscherin erträumen. Man muss sich nur weit genug denken trauen.
Als ich „Verschüttete Milch“ aufschlug, habe ich gefürchtet, Barbara Frischmuth wird mir den Ort, den ich von Kindheit an liebe, verderben. Das ist nicht passiert. Ganz im Gegenteil, sie hat ihn mir ein Stück nähergebracht. Mit der Lebendigkeit eines aufgeweckten Mädchens, das sich zur selbstbewussten jungen Frau entwickelt. Und der Eindringlichkeit einer Sprache, die einen mitzunehmen weiß. Ein Stück Literatur, das zu Herzen geht. Danke!
Buchtipp: Barbara Frischmuth: Verschüttete Milch. aufbau Verlag, 286 Seiten, € 22,00